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Stressessen

Mit Tim Suchland und Thomas Kany
Stressessen vermeiden

Siehst du dich bei Sorgen, Kummer und Stress manchmal plötzlich alle zwanzig Minuten wie ferngesteuert in die Küche laufen und mit einem neuen Snack wiederkommen? “Stressessen” nennt sich dieses Phänomen, das uns alle guten Ernährungsvorsätze vergessen lässt und dafür sorgt, dass wir möglichst viele, kalorienreiche, süße Snacks in uns reinschaufeln. Meistens haben wir dabei gar nicht wirklich Hunger, sondern versuchen so nur unsere emotionalen Probleme kurz auszuschalten. Was genau unter ‘Stressessen’ zu verstehen ist, wie es entsteht und was wir dagegen tun können, verraten dir Thomas Kany, Ernährungsexperte und Dozent an der Deutschen Hochschule für Gesundheitsmanagement und Tim Suchland, PRIME TIME-Trainingskoordinator.

Themenübersicht

Was ist ‘Stressessen’?

Was ist eigentlich “Stressessen”? Die meisten von uns müssen sich diese Frage (leider) gar nicht stellen, weil sie das Phänomen kennen: in hektischen Zeiten, in denen sich die Welt für unser Empfinden zu schnell dreht, haben wir plötzlich ganz besonders großen Hunger und egal, wie diszipliniert wir auch sonst sind, greifen wir dann bevorzugt zu Chips und Schokolade. Am besten viel, am besten fett und kalorienreich – und das, obwohl wir natürlich wissen, dass das nicht gerade förderlich für unsere Fitness ist. Schuld daran, ist ‘Stress’ und die Hormone, die durch ihn von unserem Körper ausgeschüttet werden.

Bist du ein Stressesser?

Wenn du dich fragst, ob du ein Stressesser bist, stelle dir folgende Fragen:

  • Isst du, auch wenn du keinen Hunger hast?
  • Geben dir Lebensmittel und die Nahrungsaufnahme emotionale Sicherheit?
  • Greifst du in Stresssituationen zu Nahrungsmitteln, die du später wieder bereust, wie zum Beispiel Schokolade?
  • Isst du, wenn du gestresst bist, schnell und schlingst regelrecht, ohne auf deinen Körper zu hören?

Wenn Essen dir als Mittel dient, dein Leben “in den Griff zu bekommen” und du beim Essen die Kontrolle verlierst, ist es sehr wahrscheinlich, dass du ein Stressesser bist.

Wie entsteht Stressessen und was sind die Folgen?

Wenn wir von “Stress” und dem damit verbundenen “Stressessen” sprechen, müssen wir zunächst zwischen zwei verschiedenen Arten von Stress unterscheiden, denen wir im Alltag ausgesetzt sind: dem positiven Eustress und dem negativen Distress.

Stress: Eustress, Distress und wie er deinen Hunger beeinflusst

Eustress ist eine kurzfristige Anspannung, in der man sehr leistungsfähig ist”, sagt Tim Suchland, “danach stellt sich eine Entspannung ein.” Ein Beispiel dafür ist die Hochzeit, vor der wir wochenlang aufgeregt sind und bei der Vorbereitung auf Hochtouren laufen. Distress, negativer Stress, dauert hingegen länger an und hat keine positiven Effekte auf unsere Leistungsfähigkeit. Ganz im Gegenteil: “Diese Art von Stress hemmt, blockiert und macht ängstlich”, sagt Tim Suchland, “es gibt keine Entspannungsphase.” Ein Beispiel für Distress ist die dauerhafte Erreichbarkeit am Smartphone, die dazu führt, dass wir nie richtig abschalten können. Auch ein zu hohes Trainingspensum ohne anschließende Restdays kann zu Distress und in der Folge zu Stressessen führen.

Fight, flight, freeze: Wieso Stresshormone uns heute dick machen

Sind wir gestresst, werden eine Vielzahl an Hormonen ausgeschüttet, die unseren Hunger beeinflussen. Dazu zählt zum Beispiel  Cortisol, das den Blutzuckerspiegel kurzfristig erhöht und so dafür sorgt, dass wir kurzfristig mehr Kraft mobilisieren können und leistungsfähiger sind. “Das war für unsere Vorfahren wichtig, wenn sie vor dem Säbelzahntiger weglaufen mussten”, sagt Tim Suchland. Das Problem daran: In der heutigen Zeit gibt es keine Säbelzahntiger mehr und meistens ist es psychischer Stress, der uns zu schaffen macht. Ist nun der Blutzuckerspiegel aufgrund einer erhöhten Cortisol-Ausschüttung angestiegen, werden vermehrt Fettsäuren aus den Zellen freigesetzt und wieder eingelagert. Langfristig führt ein erhöhter Cortisolspiegel so zu einer Gewichtszunahme.

Auch die Hormone Noradrenalin und Adrenalin werden in Stresssituationen ausgeschüttet. Diese sorgen dafür, dass alle nicht lebensnotwendigen Vorgänge, wie zum Beispiel das Immunsystem, Proteinsynthese oder die Verdauung erst einmal runtergefahren werden. “Bei Stress finden nur die Funktionen, die zum unmittelbaren Überleben wichtig sind, statt: die Versorgung der Muskeln und des Hirns, damit wir kämpfen und loslaufen können”, sagt Tim Suchland. Jetzt frag dich mal, wie oft du bei Stress losläufst und kämpfst.

Meistens laufen wir nur zum nächsten Kühlschrank und schlagen uns dort den Bauch voll. Auch dafür gibt es eine Erklärung, denn wenn wir uns gestresst fühlen, fordert unser Gehirn vermehrt Glukose. Am besten schnell verfügbare, die wir hoffen, in Süßigkeiten und Fast Food zu finden. Leider ist es bei unserem Hirn nämlich noch nicht angekommen, dass wir keinen Kampf mit dem Tiger auszustehen haben und uns dementsprechend auch nicht rüsten müssen. “Das Gehirn verlangt in Stresssituationen nach Zucker, den es gar nicht braucht”, sagt Thomas Kany, “weil wir psychischen Stress und gar keinen körperlichen haben, bauen wir die Energiereserven nicht mehr ab und werden immer dicker.”

Gewohnheiten aus der Kindheit tun ihr Übriges

Als wäre es nicht schon schwer genug, sich gegen unsere Hormone, die nach Zucker lechzen, zu wehren, kommt noch ein weiterer Faktor hinzu, der uns bei Stress Appetit macht: Oft sind wir es aus der Kindheit gewohnt, mit Süßigkeiten oder Essen belohnt zu werden. Da gab es zu besonderen Anlässen ein Eis, Schokolade zu Weihnachten oder ein Dessert beim Essengehen. Solche Gewohnheiten abzustellen ist schwer, besonders, wenn wir uns als Erwachsener theoretisch jederzeit mit Süßigkeiten selbst belohnen, trösten und motivieren können. Zum Glück gibt es aber Tricks, die dabei helfen, neue Gewohnheiten zu etablieren und dem Stress entgegenzuwirken.

Es gibt übrigens Stressesser und Stresshungerer. Letztere essen, während der Belastung kaum, holen sich dafür aber später umso mehr Nahrung wieder.

Was hilft gegen Stressessen?

Wenn du vom Stressessen betroffen bist, solltest du an deinem Stressmanagement arbeiten. Hier können dir Achtsamkeitsübungen, Meditation und Pausen helfen, fokussiert und bei dir zu bleiben. So kannst du Stress und Stressessen vermeiden:

Pausen machen

Viele machen im Job keine Pausen und essen bspw. am Laptop oder gestresst am Steuer. Dabei ist es, um Stressessen zu reduzieren wichtig sich Zeit für das Essen zu nehmen und bewusst zu essen. Stelle dir, wenn du arbeitest, bspw. einen Wecker, damit du regelmäßig Pausen machst. Hierfür eignet sich die Pomodoro-Technik: Alle 25 Minuten machst du eine kurze Pause von 5 Minuten und nach jeder Stunde eine längere Pause von 15-20 Minuten. Wenn du in deiner Pause etwas essen möchtest, dann wechsele nach Möglichkeit den Raum. Schalte auch den Fernseher aus und klappe den Laptop zu während der Mahlzeit.

Plane deine Mahlzeiten

Wenn du bei Stress die Kontrolle verlierst, sind Organisation und Planung alles! Bereite dir gesundes Essen vor, damit du gar nicht erst in die Versuchung kommst, nach der Chipstüte zu greifen. Gemüsesticks, Pellkartoffeln, Skyr oder gekochte Eier für die Arbeit sind leicht und schnell auch als Snacks zubereitet.

Erkenne deine Muster und schaffe Alternativen

Wenn du vor dem Fernseher regelmäßig zur Chipstüte greifst, verzichte vorübergehend auf das Fernsehen und höre stattdessen Musik, lese, oder entdecke ein neues Hobby. Ein Tipp von Thomas Kany gegen ungesundes Snacken: was da helfen kann, ist eine Liste, in der wir jedes Mal, wenn wir einen Snack ausgeschlagen haben, einen Smiley eintragen. Das kann zum Beispiel eine Situation sein, in der wir im Büro Süßigkeiten angeboten bekommen und dankend ablehnen, oder wenn wir abends, obwohl wir sonst Chips auf der Couch essen würden, darauf bewusst verzichten. Guck dir die Liste später an und mach dir bewusst, wann du die Snacks “brauchst”. Guck dir deine Gewohnheiten an und schaff eine Alternative. Du kannst aus der Liste auch ein Ranking machen, und nach und nach die Sachen, die dir wichtig sind weglassen. Fange mit den Dingen an, die du am ehesten weglassen kannst und arbeite dich vor.

Sorge für guten Schlaf

Reduziere dein Blaulicht, sorge abends für Entspannung durch autogenes Training oder Meditation.

Sei sportlich

Sport kann dir dabei helfen, Stress abzubauen, aber Achtung: Sport kann auch ein Stressor sein, wenn du nicht auf deinen Körper hörst. Bist du beispielsweise müde, tut es auch mal eine lockere Ausdauereinheit. Es muss nicht immer das High Intensity Training sein.

Der Versuchung nach süßen Snacks und Co widerstehen

Geht nicht gestresst, gefrustet oder hungrig einkaufen. Das führt dazu, eher ungesunde Snacks zu kaufen, die dann eine Katastrophe sind, wenn sich unser Blutzuckerspiegel stressbedingt erhöht hat. Ein Tipp von mir sind Tiefkühl-Edamame mit Salz. Die sind ein Super-Snack! Ansonsten kann man auch gedanklich aus einer Situation raus, in dem man mal eben um den Block geht oder aus dem Fenster guckt und sich dort auf die Geschehnisse fokussiert. Wer sogar Nachts mit Hunger auf Süßes aufwacht, dem rät Thomas Kany, ein Glas Milch zu trinken. Darin ist die Aminosäure Tryptophan enthalten, die für die Schlafsteuerung zuständig ist. Oft schläft man danach besser wieder ein. Außerdem sollte man darauf achten, dass das Zimmer ausreichend abgedunkelt ist, und das Handy nicht bspw. neben dem Bett liegt. Auch sollte der Schlafplatz tagsüber nicht für andere Dinge genutzt werden. Autogenes Training oder 5 Minuten Meditation helfen dir dabei, vor dem Schlafen runterzukommen. Zusätzlich kann man Tryptophan, als kleiner Tipp von Tim, auch als Nahrungsergänzungsmittel zur Verbesserung des Schlafs einnehmen. “Ich nehme manchmal auch Melatonin. Dadurch schläft man ebenfalls besser,” sagt Tim.

Achtsamkeit

Hunger ist ein Gefühl, das kommt und wieder geht. Da hilft Achtsamkeit: einfach mal zu beobachten, wie lange das Gefühl bleibt. Hungerattacken kommen meist vom Insulinspiegel, der sich zuvor – möglicherweise durch eine stressbedingte Cortisolausschüttung – erhöht hat. Hier können langkettige Kohlenhydrate helfen und auch Eiweiß-Shakes sättigen, rät Thomas Kany. Wir verwechseln beim Stressessen oftmals Hunger mit Appetit, sagt Tim Suchland. Viele haben, wenn sie gestresst sind, ‘Hunger’ auf Schokolade oder Chips, weil der Körper nach Zucker verlangt. Ich habe aber noch nie jemanden getroffen, der von sich meinte “Wenn ich jetzt keine Gurke zu essen bekomme, werde ich verrückt!”. Essen wird mit Lust- und Glücksgefühlen assoziiert, und wir fühlen uns besser. Wir essen wenn wir Stress haben dann oft auch viel zu schnell, sodass wir gar nicht bemerken, wenn wir eigentlich schon satt sind.

Fazit

Stressessen ist eine Form des emotionalen Essens und wird durch Hormone ausgelöst. Durch das Essen versuchen sich Stressesser zu beruhigen und ein Wohlgefühl auszulösen. Auf Dauer geht Stressessen jedoch mit einer Gewichtszunahme einher, weshalb du anderweitig für Entspannung sorgen solltest. Dabei können Methoden wie Yoga oder autogenes Training helfen, oder du vermeidest Stress am besten vorab, indem du für ausreichend Pausen und Entspannung zwischendurch sorgst.

Gestresst vom Lesen dieses Artikels? Kein Problem: Unser Team hilft dir gern im Gespräch weiter. Stell uns einfach deine Fragen zum Thema ‘Stressessen’ und Ernährung. Wir finden bestimmt eine Lösung für dich.